Symptome

Haareausreißen (Trichotillomanie)

Das dranghafte Ausreißen der eigenen Haare wird auch als Trichotillomanie bezeichnet. Übersetzt bedeutet Trichotillomanie so viel wie „Haar – Rupfen – Wahnsinn“.

Trichotillomanie ist durch das wiederholte Ausreißen der eigenen Haare, z.B. am Kopf, im Schambereich, an den Augenbrauen und/oder an den Wimpern gekennzeichnet. Einige Personen reißen sich die Haare mehr oder weniger automatisch aus, also ohne diese Handlung bewusst wahrzunehmen. Andere führen die Handlung absichtlich aus, z.B. um Spannung abzubauen. Das wiederholte Haareausreißen führt häufig zu sichtbarem Haarverlust.

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Diagnose

Im aktuellen Klassifikationssystem für psychische Störungen, dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-5; APA, 2013), ist die Trichotillomanie als eigenständige Diagnose geführt. Im Kapitel „Zwangsstörungen und verwandte Störungen“ wird es in der Rubrik „körperfokussierte, sich wiederholende Verhaltensweisen“ („body-focused repetitive behaviors“, BFRBs) beschrieben. Die Einordnung bei den Zwangsstörungen ist jedoch umstritten, da nicht jede körperbezogene Impulskontrollstörung einen zwanghaften Charakter aufweist und nur wenige der Betroffenen unter echten Zwängen wie Kontroll- oder Ordnungszwängen leiden.

Die aktuellen Diagnosekriterien des DSM-5 (APA, 2013) für Trichotillomanie beinhalten folgende Punkte:

  • Wiederkehrendes Ziehen an den Haaren, was zu Haarausfall führt
  • Wiederholte Versuche, das Verhalten zu verringern oder zu beenden
  • Klinisch signifikanter Leidensdruck oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen Funktionsbereichen
  • Nicht durch Substanzmissbrauch oder eine medizinische Erkrankung (z.B. eine dermatologische Erkrankung) bedingt
  • Nicht besser durch eine andere psychiatrische Störung erklärbar

Erkrankungsalter

Das häufigste Erkrankungsalter für Trichotillomanie liegt in der späten Kindheit/frühen Pubertät. Bei etwa drei Viertel der Betroffenen beginnt das Verhalten zwischen dem 6. und 18. Lebensjahr (Flessner et al., 2010). Die meisten Störungen treten zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr erstmals auf (Lochner et al., 2010; Odlaug et al., 2010; Ricketts et al., 2019; Tay et al., 2004).

Krankheitshäufigkeit

Allgemeinbevölkerung

Etwa 1 bis 3 Prozent der Bevölkerung sind im Laufe ihres Lebens von der Trichotillomanie betroffen (Christenson et al., 1991; Grant & Chamberlain, 2016; Hayes et al., 2019; King et al., 1995; Moritz et al., 2023a; Solley & Turner, 2018). Werden Fälle von Trichotillomanie einbezogen, die nicht zu stark sichtbaren Folgen führen, sind es sogar 19,2 Prozent. 

Jugend- und junges Erwachsenenalter

Bei 1,5 Prozent der jungen Männer und 3,4 Prozent der jungen Frauen konnte Haareausreißen, das zu sichtbarem Haarverlust führt, festgestellt werden (Christenson et al., 1991; Grant et al., 2020; Grzesiak et al., 2017).

Erwachsenenalter

Etwa 1,7 Prozent (zwischen 0,5 und 2 Prozent) der Erwachsenen im Alter von 18 bis 69 Jahren sind von der Trichotillomanie betroffen, wobei die Dunkelziffer vermutlich höher ausfällt (Grant et al., 2020; Melo et al., 2022).

Geschlechtsunterschiede

Bisher wurde angenommen, dass Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Im Erwachsenenalter betreffen etwa 80 bis 90 Prozent der klinischen Fälle Frauen (Bezerra et al., 2020; King et al., 2014; Hautmann et al., 2002). Diese Geschlechterunterschiede werden jedoch von aktuellen Studien in Frage gestellt (Grant et al., 2020; Moritz et al., 2023a). In der Kindheit tritt die Störung bei Jungen und Mädchen dagegen etwa gleich häufig auf (Cohen et al., 1995; Grzesiak et al., 2017).

Erscheinungsformen

Personen mit Trichotillomanie reißen sich wiederkehrend ihre Haare aus und können damit nicht aufhören, obwohl sie unter diesem Verhalten und dessen Folgen leiden. Wie viele Haare zu welchem Zeitpunkt herausgezogen werden und wie viele Stellen am Körper betroffen sind, ist von Person zu Person unterschiedlich. Am häufigsten werden Haare an der Kopfhaut, Augenbrauen und Wimpern ausgerissen. Manche Personen nutzen ihre Finger zum Ausreißen der Haare; manchmal kommen aber auch Instrumente wie Pinzetten zum Einsatz.

Folgen

Viele Betroffene haben infolge der Trichotillomanie auffälligen Haarverlust oder sogar komplett kahle Stellen. Ohne Behandlung kann sich die Trichotillomanie zu einer chronischen, lebenslang wiederkehrenden Störung entwickeln.

Dünner werdende oder kahle Stellen auf dem Kopf werden oft mit kaschierenden Frisuren, Schals, Perücken oder Make-up abgedeckt. Fehlende Wimpern, Augenbrauen oder Körperbehaarung verbergen Betroffene mit Make-up, Kleidung oder anderen Mitteln.

Oft schämen sich die Betroffenen für ihr Aussehen und ihr Verhalten. Scham und Schuldgefühle beeinträchtigen das Selbstwertgefühl, sodass soziale Aktivitäten und körperliche Intimität häufig vermieden werden.

Literatur

American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5th ed.). https://doi.org/10.1176/appi.books.9780890425596

Bezerra, A. P., Machado, M. O., Maes, M., Marazziti, D., Nunes-Neto, P. R., Solmi, M., Firth, J., Ishrat Husain, M., Brunoni, A.R., Kurdyak, P., Smith, L., Alavi, A., Piguet, V. & Carvalho, A. F. (2020). Trichotillomania—psychopathological correlates and associations with health-related quality of life in a large sample. CNS Spectrums, 1-8. https://doi.org/10.1017/s109285292000111x

Christenson, G. A., Pyle, R. L. & Mitchell, J. E. (1991). Estimated lifetime prevalence of trichotillomania in college students. Journal of Cinical Psychiatry52(10), 415–417.

Cohen, L. J., Stein, D. J., Simeon, D., Spadaccini, E., Rosen, J., Aronowitz, B. & Hollander, E. (1995). Clinical profile, comorbidity, and treatment history in 123 hair pullers: a survey study. Journal of Clinical Psychiatry56(7), 319–326.

Flessner, C. A., Lochner, C., Stein, D. J., Woods, D. W., Franklin, M. E. & Keuthen, N. J. (2010). Age of onset of trichotillomania symptoms: investigating clinical correlates. The Journal of Nervous and Mental Disease,198(12), 896–900. https://doi.org/10.1097/nmd.0b013e3181fe7423

Grant, J. E. & Chamberlain, S. R. (2016). Trichotillomania. The American Journal of Psychiatry173(9), 868–874. https://doi.org/10.1176/appi.ajp.2016.15111432

Grant, J. E., Dougherty, D. D. & Chamberlain, S. R. (2020). Prevalence, gender correlates, and co-morbidity of trichotillomania. Psychiatry Research288, 112948. https://doi.org/10.1016/j.psychres.2020.112948

Grzesiak, M., Hadrys, T., Pacan, P., Reich, A. & Szepietowski, J. C. (2017). Trichotillomania among young adults: prevalence and comorbidity. Acta Dermato Venereologica97(4), 509–512. https://doi.org/10.2340/00015555-2565

Hautmann, G., Hercogova, J. & Lotti, T. (2002). Trichotillomania. Journal of the American Academy of Dermatology46(6), 807–826. https://doi.org/10.1067/mjd.2002.122749

Hayes, S. L., Storch, E. A. & Berlanga, L. (2009). Skin picking behaviors: An examination of the prevalence and severity in a community sample. Journal of Anxiety Disorders23(3), 314–319. https://doi.org/10.1016/j.janxdis.2009.01.008

King, R. A., Scahill, L., Vitulano, L. A., Schwab-Stone, M., Tercyak, K. P., Jr & Riddle, M. A. (1995). Childhood trichotillomania: clinical phenomenology, comorbidity, and family genetics. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry34(11), 1451–1459. 

Lochner, C., Seedat, S. & Stein, D. J. (2010). Chronic hair-pulling: phenomenology-based subtypes. Journal of Anxiety Disorders, 24(2), 196–202. https://doi.org/10.1016/j.janxdis.2009.10.008

Melo, D. F., Lima, C., Piraccini, B. M. & Tosti, A. (2022). Trichotillomania: What do we know so far?. Skin Appendage Disorders, 8(1), 1–7. https://doi.org/10.1159/000518191

Moritz, S., Scheunemann, J., Schmotz, S., Hoyer, L., Grudzień, D. & Aleksandrowicz, A. (2023a). Prevalence of body-focused repetitive behaviors and disorders in a representative population sample.

Odlaug, B. L., Kim, S. W. & Grant, J. E. (2010). Quality of life and clinical severity in pathological skin picking and trichotillomania. Journal of Anxiety Disorders, 24(8), 823–829. https://doi.org/10.1016/j.janxdis.2010.06.004

Ricketts, E. J., Snorrason, I., Kircanski, K., Alexander, J. R., Stiede, J. T., Thamrin, H., Flessner, C. A., Franklin, M. E., Keuthen, N. J., Walther, M. R., Piacentini, J., Stein, D. & Woods, D. W. (2019). A latent profile analysis of age of onset in trichotillomania. Annals of Clinical Psychiatry, 31(3), 169–178.

Solley, K. & Turner, C. (2018). Prevalence and correlates of clinically significant body-focused repetitive behaviors in a non-clinical sample. Comprehensive Psychiatry, 86, 9–18. https://doi.org/10.1016/j.comppsych.2018.06.014

Tay, Y. K., Levy, M. L. & Metry, D. W. (2004). Trichotillomania in childhood: case series and review. Pediatrics113(5), e494–e498. https://doi.org/10.1542/peds.113.5.e494